Einmal, mit dreiundzwanzig, es muss später Frühling gewesen sein, warm und behaglich, da überkam mich ein sehr eigenartiges Gefühl, so als hätten all die Stühle und Bilder und Wände und Häuser und Tauben und Menschen und Autos und Bäume und Städte und Berge und Planeten und Sternhaufen plötzlich aufgeleuchtet und gesagt: wir sind hier, ehrlich.
Ich richtete mich auf und sah mich verwundert um, während mein Geist versuchte, das neuartige Gefühl zu kategorisieren. Ich schien die gesamte Struktur des mich umgebenden Kosmos auf einmal sehen oder eher spüren zu können. Er umgab mich wie eine warme Decke, frisch und sicher. Es war unglaublich. Die Welt, wie sie sich bislang zu erkennen gab, hatte vieles verheimlicht, nun kam sie mit einem vehementen Ruck in Bewegung und für einen Moment sah ich die Räumlichkeit hinter der zweidimensionalen, platten Realität. Mehr noch: ich verstand, das es gut war, gesund, bedeutend. Alles, was ich ansah, strahlte filligran strukturierte Richtigkeit aus. Jeder noch so chaotische Vorgang roch nach Ordnung.
Drei oder vier Tage lang war ich wie verzaubert. Erstaunt schwebte ich durch Zimmer und Gassen und hieß jede Fliege, jede Wolke, jedes Blatt, jedes Wort, jedes Härchen in ihrem Nacken, jeden Augenblick in meiner neuen Welt willkommen. Das Universum ist von absoluter Schönheit. Seinen Gesetzen unterworfene Dinge können nur schön sein, ungeachtet menschlicher Ängste und Hoffnungen. Alles Erkennbare erbringt täglich den nötigen Beweis dafür. Wichtig ist die Perspektive, die Erkenntnis der Zussammenhänge. Diese Erkenntnis hatte ich ganz plötzlich erlangt. Wie ein Geschenk. Es war eine echte Erleuchtung. Und auch das verstand ich sofort. Mein Herz war erfüllt von tiefster Dankbarkeit, in einem Meer von Verständnis. Alle zehn Minuten hätte ich weinen können. Immer wieder war es schlicht notwendig, ich war bereits völlig übersensibilisiert; der Informationsfluss war immens; ein Blick auf jede Struktur, jeden Prozess ergab einen Schwall an Emotionen. Alle Sinne, jeder Gedanke waren nach Aussen gerichtet, jedoch in einer völlig neuen Form: ich war auch Aussen. Der Himmel schien sich in all seiner Unendlichkeit über mir zu erstrecken und ich war Teil des Himmels. Dann heulte ich vor Freude und Hochgefühl und der Himmel heulte mit mir. Ich trank unsere Tränen und roch den Staub und streichelte die nassen Wolken, der späte Mond liebkoste unsere Gesichter mit Licht aus zweiter Hand, das mir Gänsehaut bescherte, und Katzen beäugten uns nachsichtig, aber anerkennend, und grinsten verlegen.
Drei Wochen lang begleitete es mich noch, jenes Licht, langsam an Farbe und Detail verlierend, wie jede Erinnerung. Beinahe euphorisch suchte ich, den Zustand der absoluten Resonanz aufrechtzuerhalten und dachte nach, und hörte Musik (und hörte mich in jeder Strophe, und heulte wieder), und schrieb, nicht gezielt, eher meditativ, zaghaft zunächst, und hielt die Erfahrung einer Erkenntnis in mir aufrecht, einem Heiligtum gleich.
Doch die Vergangenheit hat die Angewohnheit, zu verschwimmen, bis auf ein paar logische Knotenpunkte, etwas, aus dem sich eine erkannte Wahrheit ungefähr rekonstruieren lässt. Bruchstücke der Vergangenheit überlagern und verdrängen einander, verzerren die Zeit, verfälschen das Gesamtbild, nehmen Wunschformen an; alles, was bleibt, ist die Erinnerung an etwas Wichtiges; man verliert den Kontext. Dennoch hinterliess das Ereignis eine süss schmerzende Narbe, die ich seitdem zu streicheln pflege, hin und wieder, in dem Wissen, jenes Gefühl niemals vollständig zu verlieren, jenen Zustand der vollkommenen und allumfassenden, göttlichen Liebe.
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