Montag, 5. November 2007

Wort zum Montag

Ich kriege keine Luft.

Kann nicht atmen in dieser euren neuen "freien" Welt, die jene "Freiheit", jenen Fortschritt und Wohlstand mit Joghurt fressenden, sich eincremenden, krampfartig lächelnden Gesichtern der Werbung propagiert, und doch nur Reichtum für die ohnehin Reichen meint, als Ausgleich für ihre verlorenen Seelen;

die mir Sicherheit und Sorglosigkeit suggeriert, um dem Dilemma der Gewissensfrage zu entgehen, sich abzusichern gegen jegliche Verantwortung des Staats gegenüber dem Individuum, mich meine Bedürfnisse zurückstecken zu lassen gegenüber der Konjunktur (sprich: Gott), der demographischen Verschiebung (sprich: göttliche Strafe), dem nächsten Anti-Terror-Krieg (sprich: göttlicher Auftrag), und mir meine vermeintlichen Ziele in Form der neuen S-Klasse-Anti-Aging-Dolby-Surround-HighEnd-Cappucino-Maschine vorwegnimmt, nur um mich klein zu halten, in der (berechtigten) Hoffnung, meine Sensorik dermassen zu überlasten, dass jeglicher Widerstand im Keim erstickt wird;

die meinen von Schmerz und Sehnsucht und der Scham vor dem Begreifen, von sogenannten legalen (Lucky Strike/AlkoPops) und sogenannten illegalen (Cannabis) Drogen zerrütteten Organismus jederzeit mit Pickelabsaugung, Oberlippenpeeling, Augenlidstraffung, bottox-Einlauf und Schliessmuskelimplantat zu Leibe zu rücken trachtet, weil mein Anblick das kompositionelle Empfinden des kunstbewandten Auges eines Bank-Sack-Lackaffen zu beleidigen droht;

die mir, trotz angeblichem Recht zur Selbstentfaltung, vorschreibt, was und zu welchem Anlass ich zu essen, anzuziehen und zu sagen habe, in Abhängigkeit von der Vertretbarkeit aus wirtschaftlicher, religiöser, politischer und ethischer Sicht, in genau dieser Reihenfolge. Das moralische Kriterium scheint dabei überholt und den Ansprüchen der "Öffentlichkeit" nicht gewachsen und führt nunmehr haupsächlich in dem heiligen Krieg um die Freiheit der in Legebatterien stellvertretend inhaftierten Hühner sein Schattendasein;

die mich, sobald meine Psyche sich in einem letzten Kraftakt aufbäumt und gegen die Bleikernstreben des vergoldeten Käfigs meines gefälligst glücklichen Daseins drückt, sogleich zu medikamentöser "Behandlung" meiner psychischen "Krankheit" greift, mir je nach schubladenhafter Klassifizierung Antidepressiva oder Speed oder Sedativa verabreicht, pauschalisierte stationäre Aufenthalte in psychiatrischen Anstalten zuordnet, unter grossem Aufwand meine Resozialisierung (das eigentliche Ziel) in Angriff nimmt und meinem Käfig einen neuen Anstrich verpasst, demonstrativ mitleidvoll händeringend über einen prozentual relevanten Anstieg der psychischen Disfunktionen (d.h. der mangelnden Konformität) der Bevölkerung, hinterrücks händereibend über einen prozentual relevanten Anstieg der Verkaufszahlen der "Krone" und der Einschaltquoten bei "Explosiv".

Ich kriege keine Luft.

2 Kommentare:

kloty hat gesagt…

Sprichst mir aus der Seele, hat mir sehr gefallen

Lizard hat gesagt…

Spasibo...)