Dienstag, 8. Januar 2008

Die Tür.



Manchmal, da offenbart sich einem Einzelnen der Standort der geheimen Tür der Erkenntnis, ihre Konturen treten plötzlich hervor aus den chaotischen Mustern des Universums, werden erleuchtet von der Wahrheit dahinter; ihre warmen Kanten lassen sich ertasten, ihre wundervoll rauhe Oberfläche vibriert voller Ungeduld über den bevorstehenden Austausch. Wenn sich jene Tür schliesslich mit einem Knall öffnet, ertränkt das unendliche Dahinter Einen mit Verständnis, mit Einsicht, mit dem Gefühl der allumfassenden, göttlichen Liebe. Der Sog des Satori übermannt jeglichen Willen, bricht jedes Ego. Dann lächelt die Seele und badet sich in Selbsverständlichkeit.

Plötzlich bekommen Dinge, neben From, Farbe und Geruch, eine Bedeutung. Strukturen und Korrelationen von ungeahnter Komplexität schlängeln sich als dünne Linien durch das fragile Gefüge der Realität. Jeder noch so kleine Bruchteil der Raumzeit ist erfüllt von Information, und jede einzelne macht Sinn. Gerade noch glich das Leben einem Fluss, nun erkennt man die Strömungen, die den mächtigen Ozean ausmachen. Und sich selbst darin, als einen unendlich kleinen Teil des Ganzen, zugleich als dessen Zentrum; ein Sandkorn auf dem Strand des Universums, erleuchtet von dem absoluten Licht der Erkenntnis.

Und dann schliesst sich die Tür wieder, so plötzlich, wie sie aufgestossen wurde, verschmilzt mit der Struktur des Ganzen, taucht unter in dem Fluss des Lebens, geht verloren in dem überwunden geglaubten Chaos, als wäre sie nie da gewesen, und hinterlässt ein Gefühl der Leere.

Die qualvoll süsse Erinnerung an das Gefühl ist so stark, so zentral, dass die wiedergewonnene Realität mangels jenes Empfindens an Fokus, an Bedeutung verliert. Sie wird grau, matt, banal. Dann macht manch Einer sich auf die Suche nach dieser Tür, um das Gefühl des allumfassenden Seins wieder zu finden, nimmt einen Schlüssel nach dem anderen auf, dreht und wendet ihn, in der Hoffnung, seine Geometrie wieder zu ekennen, seinen Klang als Teil jenes Ganzen hinter der richtigen Tür zu entlarven.

Wo ist sie, jene Tür, wo befindet sie sich, welche Nummer steht auf dem rostigen Schild in Augenhöhe, in welcher Sprache sind jene Ziffern formuliert, nach denen Wissenschaftler und Künstler gleichermassen fahnden? Welchem Gesetz folgt der Schwung jener Zeichen, die zwar jeder lesen, aber niemand aufschreiben kann?

Was sah ich, als die Tür sich öffnete? Was vermisse ich, seit sie sich wieder schloss? Was verlor ich in jenem Augenblick? Was fehlt mir seither an dieser Welt, wodurch wird das Gefühl des wahren Seins, der absoluten Liebe vereitelt?

Manchmal lässt mich die verzweifelte Suche wünschen, die Tür nie entdeckt zu haben. Dann bäumt sich alles auf in mir, in lautlosem Protest: nein, es gibt sie, es GIBT sie, ich war dort, ich habe sie gesehen. Ich habe sie berührt, und sie öffnete sich für mich.

Manch ein Leben vergeht auf der Suche nach ihr. Manch eines – vergebens.

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